Der deutsche Mittelstand war über Jahrzehnte das Rückgrat unserer Wirtschaft. Doch diese Rolle ist längst nicht mehr selbstverständlich. Während Großkonzerne im Zentrum politischer Entscheidungen stehen und medienwirksam milliardenschwere Investitionen verkünden, gerät der Mittelstand zunehmend aus dem Blickfeld der politischen Aufmerksamkeit. Die Folgen sind weitreichend – für Betriebe, Beschäftigte und den wirtschaftlichen Standort Deutschland.

Großkonzerne im Rampenlicht, kleine Unternehmen im Hintergrund

Wenn sich der Bundeskanzler mit den Spitzen großer DAX-Unternehmen trifft und dabei von Investitionen in Höhe von über 600 Milliarden Euro spricht, sendet das ein starkes Signal. Auch wenn viele dieser Vorhaben längst geplant waren, zeigt sich: Die enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Großunternehmen hat Konjunktur.

Gleichzeitig steigen die Unternehmensinsolvenzen auf ein Zehnjahreshoch – besonders im Mittelstand. Während Großkonzerne gestärkt aus der Krise hervorgehen, kämpfen viele kleine und mittlere Unternehmen ums Überleben. Ihre Herausforderungen finden jedoch seltener Gehör in der politischen Debatte.

Bürokratie: eine unsichtbare Bremse für kleinere Betriebe

Ein zentrales Problem für den Mittelstand ist die überbordende Bürokratie. Große Unternehmen verfügen über ganze Fachabteilungen für Förderanträge, Genehmigungen und Berichtspflichten. KMU hingegen müssen dieselben Anforderungen mit deutlich weniger Ressourcen bewältigen, was den bürokratischen Aufwand im Verhältnis zur Wertschöpfung deutlich erhöht.

Hinzu kommen steigende regulatorische Anforderungen, komplexe Steuerstrukturen und zusätzliche Pflichten, etwa im Bereich Datenschutz oder Arbeitsrecht. Was für große Unternehmen oft lösbar ist, wird für kleinere Betriebe zur dauerhaften Belastung.

Selbstständigkeit verliert an Attraktivität

Auch Selbstständige und Gründerinnen sowie Gründer spüren die zunehmende Schieflage. In Deutschland trägt der Selbstständige allein das volle Risiko – ohne in gleichem Maße steuerlich entlastet zu werden. In vielen Fällen bleibt am Ende weniger als ein Drittel der erarbeiteten Zeit für das eigene Einkommen übrig, der Rest geht für bürokratische Pflichten und Steuerabgaben drauf.

Die Folge: Besonders digitale Selbstständige orientieren sich zunehmend ins Ausland. Länder mit unternehmerfreundlicheren Rahmenbedingungen (etwa in Nordamerika) bieten attraktivere Bedingungen für Freiberufler und Gründerinnen.

Zu wenig Gründergeist, zu wenig Unterstützung

Gleichzeitig fehlt es an gezielter Förderung von Unternehmertum. In Schule und Hochschule liegt der Fokus weiterhin stark auf angestellten Karrieren. Selbstständigkeit wird kaum thematisiert, Gründerwissen selten vermittelt. Wer sich dennoch für den Weg in die Selbstständigkeit entscheidet, hat es schwer – und bekommt im Falle eines Scheiterns nur wenig Rückhalt.

Ein Risiko für die Innovationskraft Deutschlands

Die schwindende Bedeutung des Mittelstands ist kein Randthema. Denn ohne mittelständische Unternehmen fehlen Arbeitsplätze, Innovationen und regionale Stabilität. Ohne mutige Gründerinnen und Gründer verliert Deutschland an unternehmerischer Dynamik.

Statt sich primär auf Großkonzerne zu konzentrieren, sollte die Politik auch die Anliegen kleiner und mittlerer Unternehmen stärker berücksichtigen. Der Mittelstand braucht spürbare Entlastung, vereinfachte Verfahren und vor allem: einen verlässlichen Platz in der wirtschaftspolitischen Agenda.