Durch die geöffnete Ladentür dringt lautes Stimmengewirr. Es ist große Pause am gegenüberliegenden Holbein-Gymnasium. Stefan Ziegler schließt die Tür, im Verkaufsraum riecht es nach Leder. Mitten in der Augsburger Innenstadt, unweit der Fußgängerzone, führt Ziegler seine Orthopädie-Schuhmacherei. Er hat das gut geführte Traditionsunternehmen vor einigen Jahren übernommen und seitdem viel verändert. Die neueste Technik, wie ein 3D-Fußscanner und ein Gerät zur elektronischen Fußdruckmessung, unterstützen den Meister der Orthopädie-Schuhtechnik bei seiner Arbeit. Er nennt das Handwerk 4.0.
Gleichzeitig ist der Schuhtechniker bei seinen Leisten geblieben. Im Schuhzentrum Augsburg wird jede Einlage, jede Ausbesserung am Schuh noch von Hand gemacht. “Bei uns ist alles Made in Augsburg. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal und das schätzen unsere Kunden”, erklärt Ziegler.
Dies ist nur ein Beispiel für viele mittelständische Traditionsunternehmer, die sich durch Innovationsgeist und gleichzeitige Besinnung auf Tradition und Wertigkeit ihrer Waren auf dem Markt behaupten können. Gerade in Zeiten, in denen viel von aussterbenden Innenstädten gesprochen wird, und Kunden gerne ins Internet abwandern, muss sich jedes Unternehmen, jeder Handwerksbetrieb mit Ladengeschäft fragen, wie es seine Marktposition halten oder verbessern kann. Das Zauberwort heißt Anpassungsfähigkeit.
Tradition lebt von Innovation: Stellen Sie sich die richtigen Fragen
Vor allem Traditionsunternehmen laufen Gefahr, sich nicht schnell genug an veränderte Marktsituationen anzupassen. Dabei sind die Unternehmen oftmals relativ klein und könnten deswegen schnell flexibel handeln und innovativ werden. Innovation bedeutet hier aber nicht, dass Sie das Rad neu erfinden müssen. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich gerade Traditionsunternehmen vor allem dann auf dem Markt behaupten können, wenn sie anpassungsfähig sind. Der Mittelstand braucht Innovation. Deswegen ist eine regelmäßige Abfrage des Status Quo sinnvoll. Stellen Sie sich folgende Fragen:
- Womit verdiene ich momentan am meisten Geld? Ist das auch mein hauptsächliches Standbein oder muss ich mein Geschäftsmodell anpassen?
- Warum gibt es meinen Betrieb? An welchen Stellen schaffe ich einen Mehrwert für die Gesellschaft?
- Was ist mein Alleinstellungsmerkmal? Kommuniziere ich das auch ausreichend?
- Wo soll mein Unternehmen in zwei, fünf, zehn und 20 Jahren stehen? Wie erreiche ich diese Ziele?
- Sind meine Arbeitsprozesse sinnvoll? Kann ich Abläufe vereinfachen oder verkürzen? Beziehen Sie in diese Frage Ihre Beschäftigten mit ein. Sie sind die Experten für die Abläufe und haben oftmals praktische Verbesserungsideen.
- Was macht die Konkurrenz? Analysieren Sie Ihre Marktposition in regelmäßigen Abständen.
- Kann ich meine Dienstleistungen durch neue Maschinen und digitale Abläufe verbessern? Wie viel Papier und Ordner braucht meine Verwaltung wirklich?
Im Idealfall machen Sie diese Analyse schriftlich und jedes Jahr in derselben Form. So können Sie die Dokumente miteinander vergleichen und erkennen die Veränderungen. Dokumentieren Sie welche Veränderungen Sie im Betrieb vornehmen und versuchen Sie die Auswirkungen auf Kundenverhalten und Umsatz zu erkennen.
Die 5 wichtigsten Tipps für mittelständische Traditionsunternehmen, um sich auf dem Markt zu behaupten
1. Machen Sie die Verbindung von Tradition und Moderne zu Ihrem Markenzeichen
Sie führen Ihr Gewerbe bereits in vierter Generation? Sie beherrschen traditionelle Arbeitstechniken die selten geworden sind? Sie bieten Ihren Kunden ein Einkaufserlebnis wie anno dazumal? Perfekt. Verbinden Sie diese Eigenschaften mit modernsten technischen Hilfsmitteln, einem richtig guten Webauftritt und zeitgemäßen Marketingstrategien. Damit heben Sie sich von Wettbewerbern ab und machen Ihre Kunden neugierig auf sich.
2. Bieten Sie Ihren Kunden ein exklusives Einkaufserlebnis
Schaffen Sie für Ihre Kunden einen Grund, Sie persönlich aufzusuchen. Einkaufen soll Spaß machen. Heben Sie sich von der Anonymität im Internet ab, und lassen Sie sich beispielsweise bei der Herstellung eines Produktes über die Schulter schauen. Vielleicht geben Sie als Modegeschäft Kleidung zur Auswahl nach Hause mit oder Sie bieten gleich eine Kleiderschrankanalyse an. Egal ob es der unkomplizierte Lieferservice ist, das Angebot, die Trauringe jährlich zum Hochzeitstag kostenlos aufzupolieren oder die obligatorische Tasse Kaffee zum Einkauf: Bieten Sie Ihren Kunden zusätzlich zum Produkt ein schönes Erlebnis.
3. Bieten Sie Qualität
Wo sollen die Kunden qualitativ hochwertige Produkte herbekommen, wenn nicht bei Ihnen? Gegen die Konkurrenz aus Fernost können Sie sowieso nichts ausrichten. Schaffen Sie sich deswegen Ihre Nische durch Qualität, durch echte Handarbeit und hochwertige Materialien.
4. Ein Wort zur Kundenbindung
Für viele Menschen ist nicht nur der Preis oder die Geschwindigkeit der Lieferung maßgeblich für den Einkauf. Wenn Sie Ihre Kunden kennen lernen, und diese sich bei Ihnen wertgeschätzt und gut beraten fühlen, werden sie wieder kommen. Wie können Sie das erreichen?
- Begrüßen Sie Ihre Kunden möglichst mit Namen.
- Fragen Sie genau nach, was Ihr Kunde braucht und möchte. Wiederholen Sie den Wunsch des Kunden mit eigenen Worten, und zeigen Sie damit, dass Sie sich für ihn interessieren.
- Melden Sie sich proaktiv, wenn Sie ein neues Produkt haben, das genau diesen Kunden interessieren könnte.
5. Investieren Sie in einen guten Webauftritt
Die Zeiten, in denen ein Eintrag in den Gelben Seiten ausreichte um gefunden zu werden, sind vorbei. Wenn Sie sich nicht allein auf Empfehlungen verlassen möchten müssen Sie zwingend im Internet gefunden werden. Betrachten Sie Ihre Webseite als eine Art Schaufenster. Gestalten Sie sie ansprechend und informativ. Idealerweise nutzen Sie Google My Business um Ihren Kunden einen schnellen Überblick über Öffnungszeiten, Kontaktdaten und Lageplan zu liefern. Sie müssen nicht gleich einen Online-Shop eröffnen, aber wenn Sie die Möglichkeit bieten Kunden auch telefonisch zu beraten, Bestellungen per E-Mail annehmen und Waren auch verschicken kann das Ihren Kundenkreis vergrößern.
Flexibel in die Zukunft
In der Augsburger Katharinengasse ist es wieder stiller geworden. Der Schulhof hat sich geleert. Ein lauer Wind weht durch die Häuserfronten. Stefan Ziegler macht Zukunftspläne für das Fußzentrum Augsburg. In letzter Zeit kommen immer mehr Radsportler in sein Geschäft, die nach speziellen Sporteinlagen für Fahrradschuhe fragen. “Sporteinlagen gehören schon immer zu unserem Geschäft, aber in letzter Zeit bemerken wir, dass vor allem der Radsport boomt. Deswegen bieten wir spezielle Beratung für diese Kundengruppe an. Außerdem passen wir die selbst gefertigten Einlagen direkt dem konkreten Schuh an. Damit können unsere Kunden im Idealfall sogar ihre sportlichen Leistungen verbessern”, freut sich der Orthopädiemeister.